Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben! Jesus Christus

Araminta-Station

Araminta Station
Jack Vance, 1987
Übersetzt von Andreas Irle
681 Seiten
Edition Andreas Irle, 2022
ISBN-13 978-3-936922-37-0
Preis: € 60,--

Die beiden öffneten die Tür und traten hinaus auf die Plattform. Der Himmel flimmerte von den Flügeln von Millionen Schmetterlingen, die aus allen Teilen Deucas’ eintrafen. Das Flattern der Flügel erzeugte ein tiefes, nahezu nicht vernehmbares Summen; die Luft war schwer von einem gehaltvollen süßen Geruch. Sie kamen in Scharen und Schwärmen von markanten Farben: Scharlachrot und Blau, schillernd Grün, Zitronengelb und Schwarz, Purpurn, Lavendelfarben, Weiß und Blau, Lila und Rot. Sie flogen schräg zur Wiese hinab, um herumzuwirbeln und zu kreisen, wobei sie häufig durch einen weiteren Schwarm von anderer Art flatterten und dadurch etwas schufen, was wie zuvor unbekannte Farben von erstaunlich pointillistischer Brillanz wirkte.
Nachdem sie herumgeschwirrt und gekreist waren, ließ sich jeder der Schwärme in dem Baum nieder, der für seine Art vorgesehen war. Gleichzeitig warfen sie die Flügel ab, ließen es unterhalb des Baums bunt schneien und verliehen der Wiese so ein kurioses schrilles Aussehen.
Die Schmetterlinge, nun fünf Zentimeter große Larven, gleichmäßig hellgrau, mit sechs starken Beinen und hornigen Mandibeln, liefen den Baumstamm hinab zum Boden und wuselten mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Meer.*

Glawen und Sessily nahmen langstielige Netze und Tröge aus dem Flieger, und Glawen, der an Chilkes Bemerkungen dachte, steckte sich die Pistole in den Gürtel.

Sie fragte rätselnd: »Wozu die Pistole? Es gibt genügend herumliegende Flügel; du musst keine Schmetterlinge schießen.«

Er erwiderte: »Es ist eines der ersten Dinge, die mich mein Vater gelehrt hat: Gehe nicht einen Meter ohne Waffe in die Wildnis.«

* Der Lebenszyklus des Schmetterlings ist von beträchtlichem Interesse. Nachdem er die Flügel abgeworfen hat, bricht er zur See auf, doch nicht ohne unterwegs Abenteuer zu bestehen. Zunächst müssen die Larven einen Meter zwanzig hohe Hügel aus verfestigter Erde überwinden, denen Gruppen von Kriegerinsekten entströmen, um die Larven zu packen oder zu töten und mit sich in den Hügel zu nehmen. Die Larven sind weder hilflos noch leicht zu besiegen; mittels Strahlen von Tinte blenden sie zunächst ihre Feinde, dann knipsen sie ihnen die Köpfe ab und laufen weiter. Auf der gesamten Wiese toben wilde Schlachten, während die Horden der ehemaligen Schmetterlinge achtlos vorübermarschieren.
Sobald sie den Strand erreicht haben und so weit gekommen sind, sehen sie sich, zehn Meter von ihrem Ziel entfernt, einem weiteren Hindernis ausgesetzt: hin und her sausende und herabstechende Vögel. Die Überlebenden dieser Plünderung haben noch eine Gefahr zu überwinden: die Yooten, wuchtige Tiere, eine Mischung aus Mandoril und Ratte (Mandorilkreuzungen sind auf Cadwal weit verbreitet), lethargisch von Veranlagung; sie wandern über den Strand und saugen die Larven mit langen Rüsseln auf. Eine abstoßende Kreatur, halb amphibisch, mit rosa und schwarz gesprenkelter Haut, verströmt der Yoot einen widerwärtigen Geruch wie viele andere Geschöpfe Cadwals auch.
Die Larven, welche den Kriegerinsekten, den Vögeln und Tieren entkommen sind, zählen immer noch Millionen. Sie stürzen sich in die Brandung, um eine neue Phase ihres bemerkenswerten Lebenszyklus’ zu beginnen.
Zwischen den Felsen und Riffen nahe dem Ufer ernähren sich die ehemaligen Schmetterlinge von Plankton, verlieren die Beine, bilden einen flexiblen Panzer, fischähnliche Schwanzflossen und werden nicht lange danach tatsächlich zu fünfzehn Zentimeter großen Fischen. Auf ein mysteriöses Zeichen hin schwimmen sie nach Osten, fort von Deucas, um eine Wanderung zu beginnen, die sie um die halbe Welt führt. Schließlich erreichen sie einen Ort südlich von Ecce, wo eine gewaltige Ansammlung von Seetang in einem Wirbel der Meeresströmung gefangen ist. Die ehemaligen Schmetterlinge, nun dreißig Zentimeter lange Fische, pflanzen sich hier fort und legen im Seetang Eier. Nachdem sie ihre Bestimmung erfüllt haben, sterben sie und treiben an die Oberfläche. Der aus den Eiern schlüpfende Krill ernährt sich von den Eltern. Während des Wachstums durchläuft er zehn Häutungen, bis zum Zustand der Verpuppung, danach krabbeln die Geschöpfe hinaus auf den Seetang und trocknen sich die Flügel. Nicht lange danach flattern sie in die Luft und brechen ohne Umstände auf zur Westküste von Deucas.