Die Rückkehr auf die Älteren Inseln von Daniel Lüthi, 2009 – als pdf (788KB): Lyonesse
Vance aus anderem Blickwinkel Norma Vance in Cosmopolis 41, 2003 – als pdf (539KB): Vance aus anderem Blickwinkel
Eine Vance-Biografie von Norma Vance in Cosmopolis 40, 2003 – als pdf (241KB): Vance-Biografie
Radiobeitrag von Hanno Ehrler, 1999 – als pdf (161KB): Mirk ist die Zeit der Unwirklichkeit
Essay von Andreas Irle, 1996 – als pdf (111KB): Wortschmied und Weltenschöpfer
Hanno Ehrler
„Mirk ist die Zeit der Unwirklichkeit“
Die Welten des amerikanischen Science-Fiction-Autors Jack Vance
Musikunterlegung 1
Sprecher 2
Etzwane starrte durch die Öffnung hinaus. Bestürzt wich er zurück; das Durcheinander seltsamer Formen und Farben sagte ihm zunächst nichts. Noch einmal blickte er mit zusammengekniffenen Augen hinaus und versuchte die fremdartige Szene, die er sah, zu deuten. Plötzlich erkannte er, daß es eine Landschaft war. Er sah steile Zuckerhuthügel, die von einer glänzend schwarzen, dunkelgrünen und braunen Vegetationsschicht überzogen waren. Über allem lag ein dunkelgrauer Himmel, darunter Türme schwarzer Wolken und Regenschleier. An den unteren Hängen zogen sich unregelmäßige Gebäude hin, die aus groben Brocken eines milchig-weißen Materials errichtet waren. Noch weiter unten bildeten diese Gebäude einen dichten Komplex. Die meisten bestanden aus den hellen Brocken; andere wiederum aus schwarzer Schlacke. Da und dort ragten große schwarze Rechtecke wie Schilder auf, doch sie wiesen keine Zeichen auf und hatten keinen erkennbaren Zweck.
Sprecher 1
Die fremdartige Landschaft des Planeten Kahei scheint mit den menschlichen Sinnen kaum zu fassen. Etzwane, den es auf diesen unwirtlichen Planeten verschlagen hat, braucht lange, um sich in der düsteren Landschaft von Kahei zurechtzufinden. Etzwane ist der Protagonist im Science-Fiction-Roman „Asutra“ von Jack Vance, geschrieben 1974.
Jack Vance wurde 1916 in San Francisco geboren und lebt seit gut vierzig Jahren im benachbarten Oakland, in einem selbstentworfenen, von mächtigen Redwood-Bäumen umgebenen Haus. Vance interessierte sich früh für Astronomie, studierte später Physik, dann Journalismus an der University of California und spielte nebenbei Jazztrompete. Die erste Erzählung erschien 1945, das erste Buch 1950. Seitdem entstanden zahlreiche Kurzgeschichten sowie mehr als dreißig Romane.
- O-Ton Vance --- 0´52´´
I couldn´t sell enough ... my own boss.
OVERVOICE Ich konnte nicht genug verkaufen, damals, als ich heiratete, deshalb wurde ich Tischler und baute Häuser - für ein paar Jahre, bis das Geld reichte, das ich mit den Geschichten verdiente. Das waren einfach nur Jobs, ohne Bedeutung für mich. Ich war eine Zeitlang bei einer Ingenieursgesellschaft, oben in den Bergen. Ich baute Minen, lernte Schweißen und verschiedene Bautechniken, aber ich habe nie in einem Büro gearbeitet, nie drinnen, niemals in meinem Leben. Ich war auf Plantagen, ich habe Obst geerntet und alles mögliche. Ich mußte das oft tun, obwohl es es keinen Spaß machte, denn mir war eines immer völlig klar: Ich wollte Schriftsteller werden. Was mir beim Schreiben am meisten gefiel, das war die Unabhängigkeit. Ich war mein eigener Boss.
Sprecher 1
In den USA ist Jack Vance als Science-Fiction-Autor bekannt und berühmt. Das Etikett Science-Fiction mag er allerdings nicht, obgleich fast alle seine Bücher die Züge dieses Genres tragen. Sie sind als Abenteuerromane geschrieben, mit Helden, Liebesaffairen und den Motiven Geldgier, Rache, Eifersucht und Machtstreben. Sie spielen auf fernen Planeten, und dank avancierter Technik fliegen Raumschiffe kreuz und quer durch die Galaxie. Auch außerirdische Wesen treten auf, etwa die Asutra, die den Planeten Kahei bewohnen.
Musikunterlegung 2
Sprecher 2
Ifness hatte eine Flasche mit einem Asutra bei sich. Das Wesen ähnelte einem riesigen Insekt - zwanzig Zentimeter lang und zehn Zentimeter breit: wie eine Kreuzung aus Ameise und Tarantel, mit völlig Unbekanntem angereichert. Sechs Arme, von denen jeder in drei Fühlern endete, gingen von dem Torso aus. An einem Ende schützten Kanten aus purpurbraunem Chitin den optischen Apparat: drei ölschwarze Kugeln in flachen, haargeschützten Höhlungen. Darunter zitterten Nahrungsaufnehmer und eine Gruppe von Eßwerkzeugen. Während der Reise hatte Ifness ab und zu gegen das Glas geschlagen, worauf der Asutra nur mit einem Zucken seiner Augenorgane reagierte. Ifness fand das Wesen unangenehm. Irgendwo in dem schimmernden Leib fanden komplizierte Vorgänge statt: logische Schlußfolgerungen oder etwas Ähnliches, Haß oder ein entsprechendes Gefühl.
Ifness weigerte sich, Vermutungen über die Natur des Asutra anzustellen: „Es ist sinnlos herumzurätseln. Die Tatsachen, soweit wir sie kennen, sind zweideutig.“
Ezwane fragte: „Du hast den Asutra untersucht: Was kam dabei heraus?“
Ifness antwortete: „Der Metabolismus des Asutra ist ungewöhnlich und entzieht sich meiner Analyse. Nach den Eßwerkzeugen zu urteilen scheint er von Natur aus eine parasitäre Lebensform zu sein. Ich habe bisher kein Organ zur Kommunikation entdecken können. Vielleicht benutzen die Wesen aber eine Methode, die für meinen Verstand zu hoch ist. Sie sammeln Informationen auf den Oberflächen von Kristallen, die sie im Unterleib tragen. Diese Kristalle wachsen und der Asutra wächst. Ein großer Unterleib deutet auf ein entsprechend umfangreiches Wissen hin.“
- O-Ton Vance --- 1´26´´
I generally shy away with each other.
OVERVOICE Normalerweise vermeide ich es, sogenannte Außerirdische oder Aliens in meine Geschichten einzubeziehen. Ich mache das sehr selten, zum einen, weil daß so eine Art Klischee bei den sogenannten Science-Fiction-Autoren ist; alle benutzen Aliens. Zum zweiten ist das viel zu einfach, ein Gegenüber von Menschen und Außerirdischen zu konstruieren. Die Menschen landen auf einer Welt, und plötzlich kommen diese merkwürdig aussehenden Kreaturen aus den Bergen und alle schreien, seht, seht, da drüben sind Aliens. Ich finde das kindisch, so etwas zu machen. Es ist so einfach für einen Autor, eine außerirdische Kreatur so zu manipulieren, daß sie in seine Geschichte paßt.
Sollte das wirklich mal passieren, daß Menschen auf eine Welt kommen, auf der es eine andere intelligente Lebensform gibt, dann wäre das sehr verwirrend, denke ich. Sie wüßten nicht, wie man mit dieser Lebensform umgehen sollte. Es wäre äußerst kompliziert, mit ihr zu kommunizieren; man würde sich wohl nie verstehen, und das würde Mißtrauen erzeugen. Zwei verschiedenartige Lebensformen wären wahrscheinlich niemals glücklich miteinander. Sie könnten vielleicht kooperieren, aber es würde viele viele Jahre dauern, bevor die zwei Zivilisationen locker miteinander umgehen könnten.
Sprecher 1
In seinem Roman „Die Asutra“ zeichnet Jack Vance das Bild einer außerirdischen Lebensform. Die insektenähnlichen, merkwürdigen Wesen sind dort Untersuchungsgegenstand wissenschaftlicher Forschung, ein wissenschaftliches Problem sozusagen. Denn Reflektion über Wissenschaft ist das eigentliche Thema des Buches. Die beiden Protagonisten Etzwane und Ifness diskutieren anhand der Außerirdischen über Methoden der Forschung und ihren Sinn, über die Auswertung von Fakten, über ethisch-moralische Fragen. Einfache Antworten gibt es nicht, das Geheimnis der Asutra bleibt ungeklärt.
Denn Jack Vance interessiert sich für den Menschen, gleich ob er über Außerirdische schreibt, ob er Verfolgungsjagden im Weltraum oder Psychodramen auf fremden Planeten inszeniert. Solch klischeehafte Abenteuer-Szenerien dienen als erzählerische Folien, als spannungsgeladene Oberflächen für Gedanken und Diskussionen über die menschliche Zivilisation, über Wissenschaft, Kunst und Philosophie, über soziale und ökonomische Strukturen.
- O-Ton Vance --- 0´50´´
I began writing ... evolved societies.
OVERVOICE Ich begann über Menschen zu schreiben und Zivilisationen und wie sie sich entwicklen und verändern, wie Menschen auf eine andere Welt auswandern, dort eine Weile alleine leben und dann wieder von Menschen besucht werden. Wenn die menschliche Rasse sich irgendwann tatsächlich einmal in unserer Galaxie ausbreitet, dann wird es kleine Gemeinschaften und Gesellschaften geben, die unter sich sind, sich auf ihre eigene Weise weiterentwickeln, die gewissermaßen isoliert sind und von den anderen für ein paar tausend Jahre vergessen werden. Da wird es dann Veränderungen geben. Diese Menschen werden ihr Verhältnis zum Leben und ihre Sichtweisen verändert haben. Das ist das, was ich gerne mache, diese veränderten und wie auch immer weiterentwickelten Gesellschaften darzustellen.
Sprecher 1
Die meisten Geschichten von Jack Vance spielen auf derselben Bühne; sie heißt „gaianisches Territorium“. Die Zeit: dreißigtausend Jahre in der Zukunft. Der Ort: unsere Galaxie, die inzwischen von den Menschen besiedelt worden ist. Auf vielen Planeten haben sich eigenständige Zivilisationen entwickelt, schlichte oder verschrobene, esoterische, technische oder dekadente, in jedem Fall immer merklich geprägt durch die Gestalt der Welt, auf der sie sich befinden, durch Landschaft, Klima und andere Umweltbedingungen.
Jack Vance beschreibt die Verhaltensweisen und Riten der Menschen, darüber hinaus unzählige Details: Architektur, Mobiliar, Geschirr, Beleuchtung, Kleidung, Schmuck, Kunst und Musik. Die Kurzgeschichte „In letzter Sekunde“ zum Beispiel lebt vom Entwurf eines fiktiven Musikinstrumentariums, und eine aberwitzige Kleiderordnung macht dem Helden in „Das Buch der Träume“ das Leben schwer. Die Beschreibungen sind präzise und plastisch, darüber hinaus auch Ausdruck eines Determinismus, der die Schriften von Jack Vance durchzieht: Zivilisation und Kultur einer Gruppe von Menschen, ihr Verhalten, ihre Sitten und Gebräuche, ihre Sprache und ihr ästhetisches Empfinden, das alles werde maßgeblich bestimmt durch die Bedingungen der Umwelt, in der diese Menschen leben.
Zum Beispiel Pardero, Protagonist im Roman „Marune, Alastor 933“. Er hat sein Gedächtnis verloren, wurde auf einen fremden Planeten verschleppt und kann aufgrund seines Verhaltens und seiner psychischen Reaktionen als Bewohner des Planeten Marune identifiziert werden. Er kehrt nach Hause zurück, wo die Lebensformen und Gebräuche eng mit dem Tagesablauf, also mit der Gestalt des Sonnensystems zusammenhängen.
Musikunterlegung 3
Sprecher 2
Der Planet Marune umkreist den gelbroten Zwergstern Furad ziemlich eng. Der grüne Stern heißt Cirse, der blaue Zwerg ist Osma, der rote Maddar. Maddar und Cirse umkreisen einander ziemlich nah. Furad, mit Maddar in seinem Monatsorbit, umkreist Osmo. Auf Marune gibt es daher keinen Wechsel von Tag und Nacht wie auf den meisten anderen Planeten. Statt dessen wechseln sich verschiedene Helligkeitsphasen ab, je nachdem, welche Sonne oder welche Sonnen gerade am Himmel stehen. Für diese Phasen gibt es eine Nomenklatur: Aud, Isp, Grünrowan und Umber sind die wichtigsten Perioden. Die Abfolge der Phasen ist äußerst kompliziert.
Die Rhunen, eine Bevölkerungsschicht auf Marune, werden stark durch den Wechsel der Phasen beeinflußt. Ein Verhalten, das während einer Phase als korrekt gilt, kann während einer anderen als absurd, geschmacklos oder unschicklich angesehen werden. Während Aud, Isp und Umber pflegt man seine Bildung zu vervollständigen oder seine speziellen Begabungen zu üben. Formelle Zeremonien finden bei Isp statt. Aud ist die angemessene Zeit, einen Prozeß zu führen, ein Duell auszufechten, Zins einzutreiben. Grünrowan ist die Zeit für Poesie und sentimentale Gedanken, während Rotrowan eine Lockerung der strikten Etikette gestattet. Echte Nacht tritt im Durchschnitt nur einmal in dreißig Tagen auf, und zwar nach einem recht komplizierten Schema. Diese Phase heißt Mirk. Dann werden die Rhunen unruhig. Manche schließen sich in ihren Wohnstätten ein, andere wiederum staffieren sich mit grotesken Kostümen aus und streifen in der Nacht umher, wo sie die verrücktesten Dinge tun. Mirk ist die Zeit der Unwirklichkeit.
- O-Ton Vance --- 1´31´´
I think there is conventions ... but its useful.
OVERVOICE Es gibt eine ganze Reihe von stillschweigenden Übereinkünften bei allen sogenannten Science-Fiction-Autoren. Dazu gehört zum Beispiel, daß ein Raumschiff sehr schnell fliegen kann, schneller als das Licht. Natürlich wissen wir aus der Naturwissenschaft, daß das unmöglich ist. Aber damit die Geschichten funktionieren, muß man einfach als Voraussetzung annehmen, daß Raumschiffe so schnell fliegen können - oder man kann keine solche Geschichte schreiben. Es gibt eine andere Übereinkunft, die ist wirklich lächerlich, obwohl ich sie selbst benutze, nämlich daß Sprache, also die Sprache der Erde überall verstanden wird. Das ist Unsinn, denn wir wissen alle, daß die Sprache natürlich das erste ist, was sich verändert, wenn eine Gesellschaft isoliert wird. Die Art zu kommunizieren würde sich schnell verändern, und wenn Leute von der Erde später dorthin kämen, würden sie sich mit den Menschen dort nicht mehr verständigen können. Aber es wäre eine höllische Sache, eine Geschichte zu schreiben, die dieses Sprachproblem berücksichtigt. Man müßte Dolmetscher haben oder computerisierte Übersetzer oder irgend etwas in der Richtung. Das würde die Geschichte unglaublich verlangsamen. Deshalb benutze ich die Übereinkunft, daß alle Menschen, gleich von wo sie kommen, sich vestehen können, daß sie die gleiche Sprache benutzen. Das ist zwar unlogisch, aber nützlich.
Sprecher 1
Auch wenn er der Handlung zuliebe das Verständigungsproblem vernachlässigt, ist Sprache für Jack Vance ein zentrales Kulturmerkmal, wie die Sitten und Gebräuche, wie Architektur, Mobiliar und Kunst. Vance erklärt grammatikalische Strukturen einer fiktiven Sprache in Fußnoten, als sei der Roman ein wissenschaftlicher Text. Er simuliert sie mit altertümlich klingenden oder frei erfundenen Wendungen, mit Silben-Folgen aus Teilen verschiedener Worte sowie assoziationsgeladenen oder auch völlig fremd scheinenden Neologismen. 1992 erschien ein Jack-Vance-Lexikon, das etliche hundert Wortschöpfungen und Formulierungen des Autors auflistet und kommentiert.
Sprache ist schließlich Thema des Romans „Die Kriegssprachen von Pao“ von 1958. Auf dem Planeten Pao spricht die friedliebende und selbstgenügsame Bevölkerung eine einheitliche Sprache. Bestimmte Interessengruppen wollen nun über die Einführung neuer Sprachen, eine technische, eine wissenschaftliche und eine kriegerische, den Charakter der Bevölkerung in einen kämpferisch aggressiven verwandeln - was ihnen im Laufe des Romans auch gelingt. Das Buch basiert auf der Theorie linguistischer Relativität, der Sapir-Whorf-Hypothese. Sie besagt, daß die formalen Strukturen einer Sprache die Bewußtseinsstrukturen, das Denken und das soziale Handeln maßgebend bestimmen.
Musikunterlegung 4
Sprecher 2
„Jede Sprache“, sagte Fanchiel, „ist ein besonderes Werkzeug von bestimmter Kapazität. Sie ist mehr als ein Mittel der Verständigung, sie ist ein gedankliches System. Vergleicht eine Sprache mit der Außenlinie einer Wasserscheide, welche den Zufluß in bestimmte Richtungen aufhält, ihn in andere kanalisiert. Die Sprache beherrscht die Funktion Eures Verstandes. Wenn Menschen unterschiedliche Sprachen sprechen, arbeitet Ihr Verstand unterschiedlich und sie handeln unterschiedlich. Kennt Ihr beispielsweise den Planeten Vale?“
„Ja“, antwortete Beran, „die Welt, wo alle Leute verrückt sind.“
Ein Lächeln durchbrach den strengen Ausdruck auf Fanchiels Gesicht. „Besser gesagt, ihre Handlungen erwecken den Anschein des Verrücktseins. Tatsächlich sind sie totale Anarchisten. Untersuchen wir nun die Sprache Vales, finden wir, wenn schon nicht eine Ursache für ihr Verhalten, so doch wenigstens ein paralleles Erscheinungsbild. Die Sprache ist auf Vale eine Sache persönlicher Improvisation mit nur den allerwenigsten Konventionen. Jedes Individuum sucht sich eine Sprechweise aus, wie Ihr oder ich vielleicht die Farbe unserer Kleider wählen. Die Frage stellt sich: Ruft die Sprache Exzentrizität hervor oder spiegelt sie sie lediglich wider? Was war zuerst da: die Sprache oder das Verhalten?“
- O-Ton Vance --- 0´40´´
I did one or two books ... act of violence.
OVERVOICE Ich habe ein Buch geschrieben, das auf der Idee beruht, daß die Besitzrechte an jedem Stück Grund und Boden der Welt auf einem Gewaltakt gründen. Man kauft ein Stück Land oder erbt es, ganz legal, aber wenn man nur weit genug in der Geschichte zurückgeht, dann hat irgend jemand jemand anderen ausgetrickst, weggejagt oder abgeschlachtet, um dieses Stück Land in Besitz zu nehmen, außer vielleicht in der Tundra, die niemand will. Aber man kann man bei jedem Stück Land nachweisen, daß die Besitzrechte irgendwann einmal durch einen Gewaltakt erworben worden sind.
Sprecher 1
Vielleicht ist es ein Stück Verarbeitung der eigenen Geschichte als US-Amerikaner, wenn Jack Vance dieses Thema im Roman „Der graue Prinz“ von 1974 aufgreift. Weißhäutige Kolonisten haben auf dem Planeten Koryphon die früheren, blauhäutigen Ansiedler unterjocht, ihnen das Land geraubt und sie zu Bediensteten gemacht. Daneben gibt es die Insel Szintarre, wo eine intellektuelle und im Gegensatz zu Bevölkerung des Kontinents reiche Bevölkerungsgruppe ansässig ist. Diese Menschen halten eine halbintelligente Lebensform als sklavenähnliche Diener, die sogenannten Erjinen.
Parallelen zur amerikanischen Geschichte und Gegenwart sind kaum zu übersehen: Die Eroberung des amerikanischen Kontinents, das Rassenproblem zwischen den Weißhäutigen und den sich im Laufe des Romans selbstbewußt emanzipierenden Blauhäutigen; das Problem eines sozialen Gefälles zwischen Arm und Reich und Nord und Süd.
Musikunterlegung 5 beginnen
Sprecher 1
Jack Vance´ Romane tragen das Etikett Science-Fiction. Aber im Gegensatz zu Stanislaw Lems tiefenpsychologischen Allegorien, zu Herbert W. Frankes weitgedachten Vorausnahmen wissenschaftlicher Erkenntnisse oder zu William Gibsons alptraumhaften Cyberspace-Abenteuern bemüht sich Vance nicht um Projektionen von Technik und Gesellschaft in eine ferne Zukunft. Er scheint eher mit den jahrhundertealten Wurzeln des Genres verbunden, mit den Utopien eines Thomas Morus, Tommaso Campanella oder Francis Bacon. Er entwirft detailgenaue Bilder von Gesellschaften, wobei die Zukunft, der fremde Planet, die außerirdische Lebensform die Bühnenbilder für diese Entwürfe sind.
Dort entfaltet Vance archaische Strukturen, Klassensysteme, anarchistische Gesellschaften und stellt Fragen: was sind die Bedingungen von Zivilisation, wie kommunizieren verschieden sozialisierte Menschen, wie vermögen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mit divergierenden Interessen zusammenzuleben?
Musikunterlegung 5 weiter
Sprecher 2
Er badete und nahm im Refektorium ein trübsinniges Frühstück ein, das aus Brot, kaltem Fleisch und Obst bestand. Wäre ihm nicht die rhunische Einstellung zu Nahrungsmitteln bekannt gewesen, hätte er eine solche Mahlzeit als gezielten Affront betrachtet. Er überlegte, ob in dieser Hinsicht nicht Neuerungen möglich waren: warum sollten die Rhunen allein so überaus penibel sein, wenn Milliarden anderer Menschen in aller Öffentlichkeit tafelten und keinen Anstoß an ihren Stoffwechselvorgängen nahmen?
Ein blasser flackernder Schein wich nach wenigen Minuten der Dunkelheit. Mirk war über das Land gekommen. Man mußte die Sache später genauer überdenken.
oder
„VEE ist die Vereinigung für die Emanzipierung der Erjinen“, erklärte der junge Mann. „Bitte halten Sie uns nicht für verrückt. Wir kämpfen tatsächlich gegen eine echte Ungerechtigkeit an: die Versklavung intelligenter Wesen! Valtrina mit ihren Erjinen-Dienern gehört zu jenen, die wir angreifen.“
Valtrina lachte. „Erst müssen Sie mir zweierlei, nein, dreierlei beweisen. Als erstes, daß Sim und Slim tatsächlich vernunftbegabte Wesen sind und nicht nur domestizierte Tiere. Zweitens, daß sie überhaupt emanzipiert sein möchten. Und dann verlange ich persönlich noch, daß Sie mir Ersatz für sie besorgen - zwei Diener, die genauso brauchbar, gefügig und zuverlässig sind wie meine schwarz-braunen Schönen. Außerdem, sie brauchen nicht hier zu bleiben, sie können weg, wann sie wollen. Ich halte sie schließlich nicht in Ketten.“
Einer der Erjinen-Diener hatte soeben den Saal betreten und schob einen Servierwagen vor sich her. Er sah prächtig aus in seiner Livree. Schaine fiel der verschleierte Blick unter den schwarzen Wimpernbüscheln auf. Sie hatte das Gefühl, daß der Erjin genau verstand, worüber sie sich unterhielten.
E N D E
Musikunterlegungen
1 Landschaft Kahei
Jean Tinguely: „Metaharmonie II“ (unknown public upc04, Track 3)
2 Beschreibung Asutra
Sabine Breitsameter: „The Hidden Tune“, ab 0´19´´ (Sondscape Vancouver 1996, Cambridge Street Records CSR-2CD 9701, Track 3)
3 Beschreibung Sonnensystem Marune
Nicky Hind: „Rain“ (unknown public upc04, Track 5)
4 Dialog zur Sprache
Josef Anton Riedl: „Leonce und Lena Nr 4“ (Siemens Studio für elektronische Musik, CD, Track 17)
5 Dialog über Erjinen-Versklavung
Jo Ambros: Improvisation (Aufnahme des Komponisten, Copyright beim Komponisten, Track 8), durch Loop verlängern
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Der 25 Minuten dauernde Audio-Beitrag wurde am 17.05.1999 vom WDR ausgestrahlt.
Copyright © 1999, 2016 by Dr. Hanno Ehrler
Seine neueste Publikation "Der Malta-Report" ist im MV-Verlag erschienen:
http://mv-buchhandel.de/sachbuch/reise/3505/der-malta-report
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Liebe Leser,
es war nicht möglich, den Audio-Beitrag selbst für die Website zu bekommen. Begründung des WDR: „Leider können wir Ihrem Wunsch nach einer Übernahme auf Ihre Internet-Seiten nicht entsprechen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass der WDR bei den vielen und unterschiedlich gelagerten Einzelanfragen grundsätzlich keine entsprechenden Genehmigungen erteilt. Das hat rechtliche Gründe, aber auch publizistische.”
Herzlichen Dank Herr Dr. Ehrler für die Erlaubnis, die Textfassung des Beitrags kostenfrei zu veröffentlichen!
Andreas Irle, August 2016
Wunderwerker, Weltenschöpfer, Wortschmied – Jack Vance
- Mann und Mythos
Jack Vance (richtiger Name: John Holbrook Vance) wurde am 28. August 1916 als drittes von fünf Kindern von Charles Albert und Edith (Hoefler) Vance in San Franzisko geboren. Er wuchs auf einer Ranch im San Joaquin Valley in Kalifornien auf und begann 1937 ein Studium an der Universität von Kalifornien in Berkeley – zunächst Bergbau und Physik, später wechselte er zu Englisch, Geschichte und Journalismus.
1939-45 schrieb er als Jazz-Kolumnist für The Daily Californian, Pelican und Folio.
Er arbeitete als Elektriker in Pearl Harbor, von wo er noch vor dem japanischen Angriff 1941 abreiste, um Japanisch zu studieren.
Während und nach dem 2. Weltkrieg fuhr er als Matrose der US-Handelsmarine zur See, in dieser Zeit wurde er zwei Mal torpediert.
Nach dem Krieg ging er mehreren Beschäftigungen nach: er arbeitete in einer Konservenfabrik, als Obstpflücker, als Jazztrompeter und als Zimmermann; letzteres übte er bis 1966 aus, ab diesem Jahr war er freier Schriftsteller.
1946 heiratete er Norma Ingold; 1961 wurde ihr Sohn John geboren. Die Vances leben in Oakland und haben im Laufe der Jahre nahezu die ganze Welt bereist.
Eines von Jack Vances bevorzugten Magazinen seiner Jugend war Weird Tales, in dem er die Geschichten von Clark Asthon Smith und Edgar Rice Burroughs las. Vance berichtet, dass er den Ankunftstag in etwa kannte und immer zum einen halben Kilometer entfernten Briefkasten rannte, um zu sehen, ob es wirklich angekommen war. Später zog er Kriminallektüre der Sciencefiction vor. Warum ist er Schriftsteller geworden? Er sagt, es wäre für ihn die einzig vorstellbare Tätigkeit gewesen, die ihm die Freiheit gab zu reisen und zu tun, was er gerne wollte.
Anfang der 50er Jahre schrieb Vance Scripts für die Fernsehserie "Captain Video and His Video Rangers". Zwei seiner Romane – The Man in the Cage (1960) und Bad Ronald (1973) – wurden verfilmt. Die Kurzgeschichte "The Potters of Firsk" (1950, "Die Töpfer von Firsk") wurde als Radiohörspiel ausgestrahlt.
Unter seinen Freunden – mit den Herberts bildeten die Vances vorübergehend einen Zwei-Autoren-Haushalt – befinden sich Poul Anderson und Robert Silverberg, die ganz in seiner Nähe wohnen.
Da er sich in Sciencefiction-Fankreisen nur sehr selten sehen ließ, entstand das Gerücht, dass "Jack Vance" gar nicht existiere und nur ein weiteres Pseudonym für Henry Kuttner wäre; sogar die Kongressbibliothek verzeichnete ihn als solches. Das Gerücht hielt sich eine Zeitlang, bis Henry Kuttner starb und Jack Vance weiter veröffentlichte.
1984 erhielt er den World Fantasy Award für sein Lebenswerk. Gegen Ende der 80er Jahre erkrankte Jack Vance, dessen Sehkraft nie besonders gut gewesen war, am Grünen Star und erblindete nahezu vollständig. Den Abschlussband der Lyonesse-Trilogie und die folgenden Bücher konnte er nur schreiben, weil Freunde ihm halfen einen sprechenden Computer einzurichten. 1992 war Jack Vance Ehrengast des Worldcons in Orlando. 1997 erhielt er den Nebula Grand Masters Award für sein Lebenswerk. In Frankreich und in Holland sind seine Bücher beliebter als in den USA. 1998 war er Ehrengast beim Festival Utopia '98 in Poitiers, Frankreich, wo ihm der Prix Utopia für sein Lebenswerk verliehen wurde.
Seine Bücher werden in über einem Dutzend Ländern veröffentlich.
- Der Millionen-Worte-im-Jahr-Mann (1945 - 1950)
Die Kurzgeschichte »The World Thinker« (»Der Weltersinner«), erschienen im Sommer 1945 in Thrilling Wonder Stories, war Vances erste bezahlte Veröffentlichung. Seine Ideen, seine Phantasie, seine genauen Schilderungen ließen ihn im Laufe seiner Karriere tatsächlich zum Weltenschöpfer werden. Thrilling Wonder Stories bildete zusammen mit Startling Stories seinen Hauptveröffentlichungsquellen. Der einzige Weg, gutes Geld zu verdienen, war ein Millionen-Worte-im-Jahr-Mann zu werden, da man nach Wortanzahl bezahlt wurde. In Startling Stories erschienen unter anderem auch seine Magnus Ridolph-Geschichten, die später gesammelt als The Many Worlds of Magnus Ridolph (1966, Die Welten des Magnus Ridolph) erschienen; eine vollständige Sammlung wurde allerdings erst 1985 mit The Complete Magnus Ridolph vorgelegt. Magnus Ridolph ist ein kosmopolitischer Detektiv, der seine Fälle weniger durch »Aktion«, als durch seine Beobachtungsgabe und seine Rolle als Außenseiter löst.
- Klassiker der Fantasy-Literatur (1950 - 1952)
Vances erstes Buch erschien 1950: The Dying Earth (Die sterbende Erde), ein Fantasy-Episodenroman, der heute als Klassiker gilt. Die Leser der Zeitschrift LOCUS wählten ihn 1987 unter die 20 besten Fantasy-Romane aller Zeiten. Die sechs Geschichten, die in diesem Buch gesammelt sind, werden durch einige gemeinsame Charaktere sowie durch den gemeinsamen Hintergrund – eben die sterbende Erde – verbunden. Zu diesem Schauplatz kehrte Vance später mit den Cugel-Romanen und Rhialto the Marvellous (1984, Rhialto der Wunderbare) zurück. The Dying Earth, sowie Big Planet (1957, Planet der Ausgestoßenen) sind frühe Beispiele des unverwechselbaren und farbenprächtigen Stils dieses Autors: Schilderungen fremder Sitten und Gebräuche, Beschreibungen der einheimischen Flora und Fauna, die klangvollen Namen der Orte, Pflanzen und Personen – Dinge, die die Geschichten Vances kennzeichnen.
- Vom Typischen zum „Typ“ (1952 - 1964)
Big Planet liegt eine Odyssee zugrunde, ein Motiv, das vor allem in Space Opera (1965), The Eyes of the Overworld (1966, Die Augen der Überwelt), der Tschai-Serie (1968-70), Showboat-World (1975, Showboot-Welt) und Cugel´s Saga (1983, Cugel der Schlaue) wieder auftaucht. Zur Zeit arbeitet Vance erneut an einem Roman dieser Art, Arbeitstitel: Ports of Call. In vielen weiteren Geschichten tritt die Odyssee in mehr oder weniger starker Ausprägung auf.
Einige Titel der 50er Jahre sind konventioneller geschrieben, behandeln typische Themen der Science fiction, wie zum Beispiel Telek (1952, Homo Telek) Telekinese, To Live Forever (1956, Kaste der Unsterblichen) Unsterblichkeit. Auch diese Werke tragen den Stempel Vances; dennoch sind Geschichten wie „The Miracle Workers“ (1958, Die Wunderwerker) und „The Moon Moth“ (1961, Die Mondmotte) bezeichnender für sein Schaffen. „The Moon Moth“ ist die typische Vance-Geschichte überhaupt: Edwer Thissell, gerade erst auf Sirene eingetroffen, erhält den Auftrag, den notorischen Meuchelmörder Haxo Angmark aufzuspüren. Sein Problem dabei ist, daß jedermann auf Sirene – außer den Sklaven – Masken zu tragen hat. Eine Verständigung findet mit der Begleitung eigenhändig gespielter Instrumente statt, die Thissell kaum zu bedienen versteht. Wie also soll er Angmark finden?
Seit 1957 schreibt Vance Kriminalromane, deren erfolgreichster The Man in The Cage (1960, Der Mann im Käfig) ist, der den Edgar Award der Mystery Writers of America gewann. The Dragon Masters (1963, Die Drachenreiter) erhielt den Hugo Award, ebenso wie „The Last Castle“ (1966, Die letzte Festung) Hugo und Nebula Award einheimste.
- Rächer und Rebellen (1963 - 1968)
Die 60er Jahre waren Vances produktivste Zeit. Mit The Star King (1964, Jäger im Weltall), The Killing Machine (1964, Die Mordmaschine) und The Palace of Love (1967, Der Dämonenprinz) erschienen die ersten drei Bände der Dämonenprinzen-Serie, die mit The Face (1979, Das Gesicht) und The Book of Dreams (1981, Das Buch der Träume) abgeschloßen wurde. Darin geht es um die Rache an den fünf sogenannten Dämonenprinzen. Der Protagonist – Kirth Gersen – verfolgt in jedem Band einen seiner Feinde, muß aber erkennen, daß ihn sein Kampf um vieles bringt, was er sich ersehnt, nämlich eine Familie und ein Heim. In The Face stellt er fest, daß er auf der gleichen Seite steht wie sein Gegner. Beinahe jedes Kapitel beginnt Vance mit Artikeln, Daten oder Kommentaren über das Universum der Dämonenprinzen-Serie; dies verleiht den Büchern zusätzliche Tiefe.
Die Detailschilderungen der Welten und Kulturen wurden immer genauer. Dies steigerte sich von The Blue World (1966, Der azurne Planet), der Tschai-Serie (1968-70, Planet der Abenteuer) über Emphyrio (1969) bis hin zur Durdane-Trilogie (1973-74, Durdane).
In den Einzelromanen The Blue World und Emphyrio geht es jeweils um einen Rebellen, der innerhalb einer Gesellschaft aufwächst, deren Mißstände entdeckt, bekämpft und schließlich überwindet.
- Weltentwürfe großen Stils (1968 - 1973)
Die Tschai-Serie, bestehend aus den Romanen City of the Chasch (1968), Servants of the Wankh (1969), The Dirdir (1969) und The Pnume (1970) handelt von der Suche des einzigen Überlebenden eines abgeschossenen Raumschiffs – Adam Reith – nach einer Möglichkeit zurück zur Erde zu gelangen. Auf seiner Suche lernt Reith die Kulturen der Khasch, der Wankh, der Dirdir und der Pnume kennen.
Die Durdane-Trilogie, bestehend aus den Romanen The Faceless Man (1973), The Brave Free Men (1973) und The Asutra (1974) handelt von Gastel Etzwane, der auszieht, um seine Mutter aus dem Dienst der Chiliten zu befreien. Er wird in immer größere Probleme verstrickt, denen er sich stellen muß. Ihm zur Seite steht Ifness, ein Abgesandter des Historischen Instituts der Erde.
Jack Vance schrieb seine Geschichten (vor dem Zeitalter des Computers) von Hand nieder und benutzte dazu verschiedenfarbige Tinte. Er betont stets, daß seine Frau Norma, indem sie seine Manuskripte redigiert und abtippt, einen Großteil der Arbeit erledigt und sie im Grunde Kollegen seien. Oft zeichnete er Karten seiner Welten, aber nicht immer werden sie auch in der Buchveröffentlichung abgedruckt. So existieren zum Beispiel von der Welt Durdane Karten der Kantone Shants und Palasedras.
- Galaktischer Hintergrund (1973 - 1983)
Die Welten Vances wurden immer reichhaltiger, der Hintergrund trat mehr und mehr in den Blickpunkt. Die Geschichten wurden statischer, handlungsärmer, die Schilderungen genauer. Die Gesellschaften, die Vance schuf wurden nicht mehr von den Protagonisten überwunden, vielmehr wurden sie von ihnen unterstützt und geschützt. Das Motiv der Heimat nahm eine zentrale Rolle in vielen Romanen der 70er Jahre ein.
Trullion: Alastor 2262 (1973), The Domains of Koryphon (1974, Der graue Prinz), Marune: Alastor 933 (1975), Maske: Thaery (1976) – alles Romane, die das Schaffen Vances in Richtung Detailbetrachtung vorantrieb. Dabei blieb die große Perspektive nicht unbeachtet; alle Bücher sind eingebettet in einen galaktischen Hintergrund: das Gaeanische Reich und den Alastor-Sternhaufen. Zu diesem Universum ist ein Großteil der Geschichten Vances zu zählen.
Die Alastor-Sternhaufen-Bücher sind in sich abgeschlossen und haben lediglich den Hintergund gemein. Der Alastor-Sternhaufen mit dreißigtausend besiedelten Welten wird beherrscht vom Connat, der sein Reich nach alter Tradition inkognito durchwandert.
The Domains of Koryphon schildert eine Welt, auf der es kein Land gibt, das nicht mittels Gewalt erworben wurde. Der graue Prinz, ein Rebell der Uldras, will den Landbaronen das Land, welches sie den Uldras vor zweihundert Jahren nahmen, wieder abspenstig machen.
Maske: Thaery schildert die Abenteuer von Jubal Droad, der als Zweitgeborener eine Wanderung durch das Land antreten muß. Dabei kommt er einem Plan auf die Spur, der das Gesicht der gesamten Welt Maske verändern und sein Heim auf Kap Junchion zerstören würde.
Vance erzählt, daß einige Titel nicht von ihm, sondern vom Verlag seien. Dazu gehören unter anderem The Dying Earth und Showboat-World. Letzterer erschien bei Underwood-Miller unter dem von Vance gewähltem Titel The Magnificent Showboats of the Lower Vissel River, Lune XXIII South, Big Planet.
- Rückkehr zur Fantasy (1983 - 1987)
Nach Vollendung der Dämonenprinzen-Serie zu Beginn der 80er Jahre wandte Vance sich verstärkt der Fantasy zu. Es entstanden weitere Geschichten um Cugel und die sterbende Erde. In Cugel’s Saga sind einige wahrhaft köstliche Szenen zu finden, deren beste wohl die Begebenheit in der Taverne ist, wo sich Cugel und Bunderwal gegenseitig ausstechen wollen, um eine Passage an Bord eines Schiffes zu bekommen.
Das zentrale Werk dieser Zeit ist jedoch die umfangreiche Lyonesse-Trilogie, bestehend aus Lyonesse: Suldrun’s Garden (1983, Herrscher von Lyonesse), Lyonesse: The Green Pearl (1985, Die grüne Perle) und dem Abschlußband Lyonesse: Madouc (1989, Madouc), der den World Fantasy Award gewann. Darin geht es um die Älteren Inseln, die südlich von Irland liegen, und die kühnen Bestrebungen König Casmirs, die Gesamtherrschaft über das Inselreich zu erlangen.
Jack Vance ist ein Sprachkünstler und Wortschmied. Die Atmosphäre, die er durch sein reichhatiges Vokabular schafft, ist stets der Handlung angepasst. Dies ist gut an dem Unterschied der Stimmungen in Lyonesse: Suldrun’s Garden und Cugel’s Saga nachzuvollziehen. Im unten erwähnten Vance-Lexikon kann man 1.700 seiner Wortprägungen nachlesen. Zum Teil sind sie aus anderen Sprachen entliehen, aus englischen Begriffen zusammengesetzt oder verfremdet. Dadurch werden sie zum Teil nachvollziehbar. Das Wichtigste aber ist ihr Klang, der immer irgendwie treffend ist. Um fremde Rassen fremd wirken zu lassen, benutzt er mitunter veraltete Begriffe oder Fachausdrücke, die aus dem Munde des sprechenden seltsam anmuten, aber dennoch verständlich sind.
- Verbindung der Motive (1987 - )
Araminta Station (1987, Station Araminta) markierte Vances Rückkehr zur Science fiction. Dieser Roman ist sein bisher umfangreichster und bildet den Auftakt zu den Cadwal-Chroniken, die in Ecce and Old Earth (1991, Ecce und die Alte Erde) und Throy (1992) ihre Fortsetzung bzw. ihren Abschluß finden. Cadwal ist ein unter Protektorat stehender Planet mit, einer begrenzten Bevölkerungszahl zur Einhaltung der Cadwal-Charta. Glawen Clattuc muß sich gegen Intrigen innerhalb des Clattuc-Hauses wehren, einen Mord aufklären, mithelfen den Yip-Aufstand niederzuschlagen, sich der LFF-Partei erwehren und schließlich der Cadwal-Charta auf die Spur kommen. In dieser umfangreichen Trilogie verbindet Vance die Motive der Heimat mit der der Odyssee und zeigt seine gesamte Bandbreite an Stärken und Schwächen.
Im neuesten Vance-Roman Night Lamp (1996) geht es um Jaro Fath, der von Hilyer und Althea Fath zusammengeschlagen aufgefunden und adoptiert wird, weil er seine Erinnerung verloren hat und keiner seiner Angehörigen zu finden ist. Er wächst in Thanet auf Gallingale auf und fragt sich bald, wo seine Wurzeln sind.
- Jack Vance – Wortschmied, Weltenschöpfer, Wunderwerker
Oft wird ihm vorgeworfen, daß er mit dem Fortschreiten einer Serie die Lust an seiner Schöpfung verliere, daß Handlungsstränge im Sande verliefen, daß die Aktion gegenüber der Diskreption zu kurz komme. Dennoch – oder gerade deswegen hat er ein literarisches Werk geschaffen, welches wegen seiner Eigenständigkeit seinen Platz in der Geschichte der Science fiction einnimmt. Auch beim wiederholten lesen enteckt man Einzelheiten, die man vorher übersehen oder gar nicht wahrgenommen hat. Vance führt seine Leser in Abenteuerwelten, die liebevoll ausgetüftelt sind und in den reichhaltigsten Farben der Sonnenuntergänge erstrahlen. Für mich ist er der Impressionist unter den Science fiction-Autoren. Seine Werke sind mit reichhaltigen, ineinanderfließenden Farbtupfen gemalt, die als Gesamtheit aus der Distanz wirken. Betrachtet man sie aus der Nähe, verliert man den Gesamteindruck, entdeckt man die Technik, die hinter dem Ganzen steht – und der Zauber verfliegt.
Andreas Irle